Spätestens bei Gasenried war dann jegliches Bedauern vergessen. Einerseits begann der Weg anzusteigen, andererseits konnte man einen ersten Blick auf den Riedgletscher werfen, dessen zerklüftete Eismassen sich gegen den blauen Himmel abhoben. Wir durchquerten einen lichten Lärchenwald und wurden dabei begleitet vom Rauschen des Riedbachs. Als wir den Wildbach schliesslich überquerten, lag das ganze Tal vor uns und man konnte die ganze Strecke (und die Höhenmeter), die noch vor uns lag, überblicken.
Bei Alpja hatten wir die Baumgrenze und den letzten flachen Abschnitt erreicht. Vor einer kleinen Alphütte machten wir eine letzte Rast, bevor wir den weiteren Aufstieg in Angriff nahmen. Über die steinige Seitenmoräne, die der Gletscher zurück gelassen hatte, führte der Pfad im Zickzack immer höher. Ein Murmeltier sah uns misstrauisch aus sicherer Distanz beim Schwitzen zu.
Als wir die Höhe des Gletschers erreicht hatten, wechselte die Wegkennzeichnung von weiss/rot auf weiss/blau. Über ein ausgedehntes Geröllfeld balancierten wir zum Eisrand, wo wir unsere Steigeisen montierten.
Ich empfinde es immer wieder als äussert eindrücklich, mich auf einem Gletscher zu bewegen. Die Querung über das flache und praktisch spaltenfreie Eis war mit Stangen gekennzeichnet und in der Mitte der Eismasse mussten wir über die Mittelmoräne klettern. Viel zu schnell für meinen Geschmack hatten wir das andere "Ufer" des Gletschers erreicht und verstauten die Steigeisen wieder im Rucksack.
Das restliche Stück zur Hütte war dann wieder steil und führte teilweise über den blanken Fels, doch der Weg war ausnehmend gut gesichert mit Tritten, Seilen und Treppen, so dass dem Belohnungsbier auf der Aussichtsterrasse der Bordierhütte (2'886 m) nichts entgegenstand. Nach dem Abendessen gesellten sich noch ein paar junge Steinböcke zu uns, die sich Rangkämpfe lieferten und sich fotogen zwischen Sonnenuntergang und Schweizerfahne positionierten.
Wir teilten uns den Schlafraum mit vier jungen Einheimischen, die den Nachmittag damit verbracht hatten, sich durch die Alkoholvorräte der Hütte zu trinken. Doch offenbar sind die Walliser nicht so trinkfest wie ihr Ruf, auf jeden Fall musste sich einer der Jungs in der Nacht wiederholt übergeben - davon zeugten wenigstens am nächsten Morgen die Spuren und Erzählungen meiner Kollegen; ich selber hatte dank Ohrstöpsel praktisch unbehelligt geschlafen und vom unappetitlichen Desaster kaum etwas mitbekommen.
Die Stimmung am nächsten Morgen war aufgrund der kurzen Nacht eher gedrückt und zudem hatte es auch noch angefangen zu regnen. Doch sowohl das Wetter wie auch unsere Gemütslage hellten sich spätestens nach der neuerlichen Gletscherüberquerung merklich auf. Wir wählten die gleiche Route wie am Vortag, wobei der Abstieg eindeutig weniger schweisstreibend war. Angetrieben wurden wir zudem von der Aussicht auf Kuchen auf der hübschen Terrasse des Restaurants Riederstübli, das wir einen Tag zuvor passiert hatten. Bei einigen Mitwanderern war das Verlangen nach Kuchen so gross, dass jede Diskussion über Routenvariationen von vornherein aussichtslos war.
Bereits vor dem Mittag erreichten wir schliesslich das Riederstübli, wo der Kuchen mit Himbeeren aus dem eigenen Garten die Erwartungen in keiner Weise enttäuschte. Es war der perfekte Abschluss für die wunderschöne Tour.
Wanderinfos:
- Gewandert: Samstag/Sonntag, 25./26. Juli 2020
- Route: Grächen - Gasenried - Alpja - Pkt. 2706 - Riedgletscher - Bordierhütte (Samstag; Sonntag die gleiche Strecke umgekehrt)
- Distanz: 11 km (Samstag/Sonntag)
- Unsere Wanderzeit: 4 h 30 (Samstag); 3 h 30 (Sonntag)
- Höhenmeter (Aufstieg): 1'430 m (Samstag); 150 m (Sonntag)
- Übernachten: Bordierhütte SAC
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