Sonntag, 31. Juli 2022

Grenzerfahrung auf dem Grenzgletscher (Spaghetti light - Teil 3/3)

@wanderohneende
Obwohl die Margherita-Hütte sich auf über 4'554 m Höhe befindet, war das Frühstücksbuffet (!) erstaunlich üppig. Doch um kurz nach 4 Uhr in der Früh hatte ich nicht wirklich Appetit. Als wir losmarschierten, setzte erst gerade die Dämmerung ein.

Es war lange unsicher gewesen, ob wir direkt nach Zermatt würden absteigen können, da der wenige Schnee und die Wärme der letzten Tage dem Gletscher und den übrig gebliebenen Schneebrücken zugesetzt hatten. Dank einer klaren Nacht war der Schnee an diesem Morgen aber fest genug und unser Bergführer war der Meinung, dass wir es (noch) wagen konnten.

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Die erste Steilstufe, über welche der Grenzgletscher hinabbrach, umgingen wir ebenso wie eine breite Spalte, die sich quer durch das Eis zog. Wir passierten unzählige Seracs, riesige Eissäulen, die sich zwischen Gletscher und Felsen aufgetürmt hatten. Ich bezweifelte, dass diese noch lange der Erderwärmung und der Gravitation standhalten würden.

Im unteren Teil des Gletschers konnten wir dem Eisbruch nicht mehr ausweichen, sondern wanderten direkt durch ihn hindurch: Wir mussten unzählige Spalten überqueren, die sich in allen Richtungen durch das zerklüftete Eis zogen. Manchmal reichte ein grosser Schritt, manchmal musste man der Stabilität von breiten oder auch sehr schmalen Schneebrücken vertrauen. Der Blick in die tiefen Spalten hinein war faszinierend und furchteinflössend zugleich.

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Meine volle Konzentration galt meiner Balance und dem Eis respektive dem fehlenden Eis unter meinem Füssen. Dies war zweifellos die anspruchsvollste "Gletschertour", die ich bisher gemacht hatte. Wenn ich mich umdrehte und zurückblickte, schien es mir unmöglich, dass wir zwischen diesem Gewirr von Spalten und Eisblöcken einen Weg hinunter gefunden hatten. 

Etwas oberhalb der Monte Rose Hütte verliessen wir den Grenzgletscher und auf der Terrasse der futuristisch anmutenden Hütte gab es ein zweites Frühstück mit einem grossen Stück Kuchen inklusive Schlagrahm - mein Appetit war unterdessen erwacht. Nur nebenbei: Die Monte Rosa Hütte hatte auch das erste "richtige" WC seit Tagen. 

Schliesslich folgten wir dem Hüttenweg über vom Gletscher abgeschliffene Felsen und mussten für die Überquerung des Gornergletschers nochmals die Steigeisen hervor nehmen. Auch dieser vollständig apere Gletscher konnte einige Spalten aufweisen, der beste Weg darüber war aber mit Stangen markiert.

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Über den Wanderweg ging es dann unterhalb des Gornergrats entlang bis Rotboden. Dort stiegen wir in die Bahn und tuckerten bequem zurück nach Zermatt, wo wir vor fünf Tagen unsere Tour begonnen hatten. Es war eindrücklich gewesen, der Welt von Schnee, Eis und Viertausender so nahe zu kommen! 


Teil 1 von "Spaghetti light" mit dem Aufstieg auf das Breithorn gibt es => hier. Teil 2 mit 4 Viertausender an einem Tag => hier.



Wanderinfos:

  • Gewandert: Montag - Freitag, 18. - 22. Juli 2022
  • Route: Capanna Margherita CAI - Grenzgletscher - Monte Rose Hütte SAC - Gornergletscher - Rotenboden (Freitag)
  • Unser Wanderzeit: 6 h 30 min (Freitag)
  • Distanz: 17 km (Freitag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 400 m (Freitag)
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Donnerstag, 28. Juli 2022

4x4000: Vier Viertausender an einem Tag (Spaghetti light - Teil 2/3)

@wandernohneende
Der vierte Tag meiner Spaghetti-Tour war Gipfelsammeltag. Vier Viertausender standen auf dem Programm und die Wetterprognose versprach passend dazu ungetrübten Sonnenschein. Am Vortag waren wir von der kleinen, spartanischen Mezzalama-Hütte zur grosszügigen und modernen Mantova-Hütte gewandert - gemeinsam waren beiden Hütten die Stehklos - eine italienische Eigenheit, mit der ich mich nur schwer anfreunden konnte. Doch die Erlebnisse an diesem Tag machten alle sanitären Mühseligkeiten vergessen.

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Zunächst wanderten wir eine Geröllschulter hoch am Rifugio Gnifetti vorbei, das an einem grossen Felsen zu kleben schien, bevor wir die Steigeisen hervorholten und uns anseilten. Grosse Spalten durchzogen den Lysgletscher und ein Blick in sie hinein offenbarte bodenlose Abgründe und riesige Eishöhlen. Doch schon wie am Vortag führte uns unser Bergführer sicher über die Schneebrücken. 

Wir erreichten ein Hochplateau und jeder der zahlreichen Gipfel um uns herum war über viertausend Meter hoch. Eine eindrückliche Welt aus Schnee, Eis und Fels. Als erstes nahmen wir den unschwierigen Aufstieg auf die komplett schneebedeckte Vincentpyramide (4'215 m) in Angriff. Auf dem Gipfelgrat blies ein heftiger Wind, doch dieser konnte unsere Freude über den ersten Gipfelerfolg an diesem Tag nicht trüben.

@wandernohneende
Wieder unten an der Vincentpyramide angekommen, steuerten wir direkt auf das nächste Ziel zu, das Balmenhorn. Im Gegensatz zur Vincentpyramide ist das Balmenhorn ein brauner, eckiger Felsblock, der aus dem Gletscher herausragt. Offenbar ist umstritten, ob es sich beim Balmenhorn überhaupt um einen eigenständigen Gipfel handelt, aber mit 4'167 m Höhe zählt er für mich eindeutig als vollwertiger Berg. 

Wir waren gerade an seinem Fuss angelangt, als sich ein Helikopter der Air Zermatt näherte, viel Staub aufwirbelte und einen Rettungshelfer auf dem Felsblock auslud. Nur Minuten später kam der Helikopter mit einer Longline zurück und flog Rettungshelfer und einen Patienten weg.* 

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Ich war mir nicht sicher, ob mir die effiziente Rettungsaktion Mut oder Angst machen sollte. Der Schlussanstieg auf das Balmenhorn ist nämlich eine Art Klettersteig, den wir hoch- und wieder runterklettern mussten, was mit Steigeisen nicht ganz einfach war. Zudem hatte sich an diesem Nadelöhr eine Schlange von Bergsteigern gebildet, dass man sich am Mount Everest wähnte. Doch die Extraanstrengung lohnte sich und vielleicht half auch die übergrosse Jesusstatue, die auf dem Gipfel steht, dass ich unfallfrei auch diesen Viertausender als bestiegen abhaken konnte.

Ohne grosse Pause ging es zum nächsten Berg, der Ludwigshöhe (4'342 m). Technisch war dies die schwierigste Besteigung. Gerade am Anfang musste man eine Eisstufe hochkraxeln, bevor es steil die schmale, ausgesetzte Flanke hinaufging. Wir blieben auf dem windigen Gipfel nur lange genug für ein paar Fotos und stiegen dann wieder vorsichtig hinunter.

@wandernohneende
Wir umrundeten die Parrotspitze und dann kam hoch über uns der letzte Gipfel in Sicht, auf dem auch die nächste Hütte stand: Die Capanna Margherita, die höchstgelegene Hütte Europas, liegt auf 4'554 m auf der Signalkuppe. Von allen Seiten steuerten Seilschaften auf sie zu. Wir gehörten zu den letzten, die den langgezogenen Berghang erklommen. Auf der Margherita-Hütte angekommen, gönnte ich mir als erstes eine Pizza-Margherita. Die Hütte ist nach der italienischen Königin Margherita benannt (die sie auch besucht hat) und dient unter anderem Forschungszwecken. 

Von unserem Zimmer direkt unter dem Dach aus bewunderten wir den Sonnenuntergang. Unser Bergführer hatte uns erklärt, dass man auf dieser Höhe nicht mehr "schläft" sondern nur noch "übernachtet". Ich schlief aber so gut, dass mich erst der Wecker (der um 4 Uhr 20 klingelte) aufweckte.


Teil 1 von "Spaghetti light" mit dem Aufstieg auf das Breithorn gibt es => hier. Teil 3 mit dem Abstieg über den Grenzgletscher => hier.


Wanderinfos:

  • Gewandert: Montag - Freitag, 18. - 22. Juli 2022
  • Route: Rifugio Città di Mantova - Lysgletscher - Vincentpyramide - Balmenhorn - Ludwigshöhe - Capanna Margherita CAI (Donnerstag)
  • Unser Wanderzeit: 6 h (Donnerstag)
  • Distanz: 6,5 km (Donnerstag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'300 m (Donnerstag)
  • Übernachten: Capanna Regina Margherita CAI (Donnerstag)
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*Am Abend in der Hütte erfuhren wir, dass Hintergrund der Rettungsaktion kein Unfall, sondern ein positiver Coronatest war. Die Gruppe hatte auf dem Balmenhorn (auf über 4000 m [sic!]) Corona-Selbsttests gemacht und einer davon war positiv ausgefallen, was zur Alarmierung der Air Zermatt führte.



Sonntag, 24. Juli 2022

Einstieg in die Welt der Viertausender: Aufstieg auf das Breithorn (Spaghetti light - Teil 1/3)

@wandernohneende
Diesen Sommer verwirklichte ich mir einen lang gehegten Traum: Eine Hochtourenwoche im Monte Rosa-Massiv mit der Besteigung von mehreren Viertausender im schweizerisch-italienischen Grenzgebiet. Ich wählte die "light" Variante dieser klassischen Hochtour, die als Spaghetti-Runde bekannt ist, weil es angeblich in den italienischen Hütten immer Spaghetti zum Abendessen gibt. Spoiler voraus: Es gab tatsächlich in jeder Hütte Pasta als Vorspeise, aber nie in Form von Spaghetti.

Am ersten Tag machten wir zur Akklimatisation eine Wanderung zur berühmten Hörnlihütte auf 3'260 m und sassen auf der Terrasse neben den Bergsteigern, die vom Matterhorn zurückgekommen waren. Am zweiten Tag ging es dann noch höher hinaus: Mit der Gondel fuhren wir auf das Klein Matterhorn (3'883 m). Dort schnallten wir die Steigeisen an und nahmen den ersten Viertausender der Woche in Angriff: Das Breithorn.

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Wir überquerten das flache Plateau und als wir den Fuss des Breithorns erreicht hatten, legten wir ein Gepäckdepot an, bevor wir uns in die zahlreichen Seilschaften einreihten, die an diesem sehr warmen und sonnigen Tag ebenfalls auf dem Weg auf das Breithorn waren. Über zwei ausholende Kurven führte eine gute Spur die Bergflanke hoch. 

Das Breithorn (4'164 m) gilt als einer der einfachsten Viertausender der Alpen. Entsprechend standen wir bereits nach gut anderthalb Stunden auf dem Gipfel, obwohl Housi, unser Bergführer, ein sehr gemächliches Tempo anschlug. Wir gratulierten uns zur erfolgreichen Besteigung des ersten Viertausender der Woche und genossen  die Aussicht über die weisse Bergwelt.

@wandernohneende
Beim Abstieg hatte sich die Spur im unteren Teil bereits in einen Bach verwandelt. Die Wärme, in Kombination mit dem wenigen Schnee, der dieses Jahr auf dieser Höhe übrig geblieben war, machte die nachfolgende Gletscherwanderung nicht unkritisch. Wir passierten die unsichtbare Landesgrenze zu Italien und unterhalb von Roccia Nera und Pollux querten wir den Grande Ghiacciaio di Verra. 

Dass Housi eine gute Nase bei der Beurteilung der Tragfestigkeit der Schneebrücken über die zahlreichen Gletscherspalten hatte, zeigte sich, als er die Spur verliess und mit uns einen Zusatzschlenker machte, weil ihm eine der Schneebrücken nicht gefiel. Der Bergführer der nachfolgenden Seilschaft hatte ein weniger gutes Gespür für Schnee und eine seiner Gäste stürzte an dieser Stelle prompt in die Gletscherspalte (Die Frau wurde aber schnell und unverletzt von ihrer Seilschaft wieder herausgezogen).

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Oberhalb des Rifugio Guide del Val d'Ayas verliessen wir den Gletscher. Bei dieser Berghütte gab es aber nur einen Zwischenstopp, um etwas zu trinken und einen Rückblick auf die begangene Strecke zu halten. Direkt oberhalb der Hütte lag der eindrückliche Gletscherabbruch, welcher der Grund war, warum wir zum Erreichen der Hütte einen weiten Bogen hatten machen müssen. 

Die Nacht verbrachten wir im Rifugio Mezzalama (3'036 m), das etwa vierhundert Höhenmeter weiter unten auf einer Gletschermoräne lag und über einen steilen Wanderweg erreichbar war. Die Hütte  war zwar nur sehr rudimentär ausgestattet und im engen, fast vollen Massenlager lagen die Bergsteiger - jede Ecke des Raums ausnutzend - eng zusammen. Trotzdem schlief ich erstaunlich gut.

@wandernohneende
Am nächsten Tag stand kein weiterer Viertausender auf dem Programm, sondern der Übergang vom Val d'Ayas ins Valle di Gressoney, den wir teilweise durch eigene Kraft, teilweise mit Hilfe von Bergbahnen bewältigten. Eine letztes kurzes Wegstück führte uns schliesslich von der Bergstation Punta Indren zur Mantova-Hütte.


Teil 2 von "Spaghetti light" mit vier Viertausender an einem Tag gibt es => hier. Teil 3 mit dem Abstieg über den Grenzgletscher => hier.




Wanderinfos:

  • Gewandert: Montag - Freitag, 18. - 22. Juli 2022
  • Route: Klein Matterhorn - Breithornplateau - Breithorn - Grande Ghiacciaio di Verra - Rifugio Guide d'Ayas - Rifugio Mezzalama CAI (Dienstag)
  • Unsere Wanderzeit: 5 h 30 min (Dienstag)
  • Distanz: 9,2 km (Dienstag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 450 m (Dienstag)
  • Übernachten: Rifugio Ottorino Mezzalama CAI (Dienstag)

@wandernohnenende