Donnerstag, 26. August 2021

Jenatschhütte: Bunte Steinwüste zwischen Julierpass und Val Bever

@wandernohneende
Vor zwei Jahren hatte ich den Jahreswechsel auf der Jenatschhütte verbracht. Mir hatte die - damals tiefverschneite - Landschaft sehr gut gefallen. Entsprechend wollte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Tour im Sommer zu wiederholen. 

Ich hatte in Bivio übernachtet und da der Rest der Wandergruppe erst gegen Mittag vom Unterland kommend eintrudelte, beschloss ich, mich zu Fuss zum Treffpunkt bei La Veduta - etwas unterhalb der Julierpasshöhe - aufzumachen. 

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Am Anfang führte der Weg noch abwechslungsreich entlang von Wasserfällen und der rauschenden Güglia, doch bald bildete vornehmlich das Rauschen der Passstrasse die Geräuschkulisse. Es hatte am Vortag kurz geregnet und die feuchte Wärme brachte mich ins schnell ins Schwitzen, obwohl es noch früher Vormittag war. Ich brauchte schliesslich länger als gedacht, bis ich beim Ospizio La Veduta ankam, doch es reichte noch für eine kühlende Cola, bevor meine Wanderkollegen mit dem Postauto eintrafen.

Die Passstrasse liessen wir schnell hinter uns, als wir ins Val d'Agnel einbogen. Beim Aufstieg durch die karge Landschaft fielen uns Gruppen von Leuten auf, die grosse runde Objekte den Hang hinauf schleppten. Bald erfuhren wir, dass es sich dabei um die mühseligen Aufbauarbeiten für ein Kunstprojekt handelte: Eine überdimensionale Uhr soll in einem Felsentor bei der Fuorcla digl Leget aufgehängt werden, wobei die Uhr langsamer wird, wenn sich ein Wanderer nähert (oder schneller; die entsprechenden Erklärungen blieben widersprüchlich). Mir schien Kunst vor allem anstrengend zu sein, wenn man sah, wie sich die zahlreichen Helfer mit den schweren Einzelteilen abmühten. Reto hatte schliesslich Erbarmen und half beim Tragen.

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Der Rest von uns überholte die Kunstbegeisterten rasch und stieg durch ein letztes steiles Geröllfeld zur Fuorcla d'Agnel (2'983 m) hinauf. Rund um uns herum gab es nichts als Fels und Stein, doch die Landschaft war alles andere als eintönig grau: Vielmehr leuchtete der Fels in allen Farben von grün und violett über rot bis braun. Über lockeren Schotter und glattgeschliffene, rot leuchtende Felsen, über welche Wasserfälle rauschten, ging es hinunter zum Talboden zu einem milchig-blauen See. 

Von dort war es dann nicht mehr weit zur Jenatschhütte. Kurz bevor wir diese erreichten, forderte uns ein Pfeil unmissverständlich auf, den direkten, flachen Weg entlang der Höhenlinie zu verlassen und stattdessen einen Umweg zu nehmen, welcher einen Abstieg und einen kurzen Gegenanstieg erforderte. Wir folgten der Aufforderung brav, diskutierten dann aber beim Bier auf der sonnigen Hüttenterrasse heftig, ob die Umleitung einer möglichen Steinschlaggefahr geschuldet war oder der Boshaftigkeit des Hüttenwarts.

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Nach einer kurzen Nacht im voll besetzten Massenlager - ich hatte schon lange nicht mehr so schlecht geschlafen in einer Hütte - starteten wir  fast pünktlich unseren Abstieg. Am Anfang war der Weg noch schmal und steil, aber bald wandelte er sich zu einer breiten Feldweg mit einem angenehmen Gefälle. Die Strecke durch das weitläufige Val Bever war ziemlich lang und nicht zum ersten Mal lenkte mich die Schönheit des Tals, durch welches der gletscherfarbene Bever fliesst, von etwaigen Müdigkeitserscheinungen ab.

In Spinas blieb Zeit für eine kurze Erfrischung, bevor es zurück ins Unterland ging. Die Fahrt nach Zürich dauerte schliesslich fast so lange wie die Wanderung von der Jenatschhütte nach Spinas. Doch trotz der langen Reise, es hatte sich auf jeden Fall gelohnt, der Jenatschhütte auch im Sommer einen Besuch abzustatten. Leider konnte Nicole, welche die schöne Tour ausgesucht und organisiert hatte, unfallbedingt nicht teilnehmen - aber hoffentlich bald wieder!



Wanderinfos:

  • Gewandert: Samstag/Sonntag, 14./15. August 2021
  • Route: Bivio - Mot - Tgesa Brüscheda - La Veduta - Val d'Agnel - Fuorcla d'Agnel - Jenatschhütte (Samstag); Jenatschhütte - Tegia d'Val - Uember da Palüd Marscha - Spinas (Sonntag)
  • Unsere Wanderzeit: 5 h 45 min (Samstag); 3 h 10 min (Sonntag)
  • Distanz: 15,9 km (Samstag); 12,5 km (Sonntag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'400 m (Samstag); 100 m (Sonntag)
  • Übernachten: Chamanna Jenatsch CAS
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Donnerstag, 19. August 2021

Val Piora: Unter Murmeltieren

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Der Ritomsee war schon lange auf meiner Wander-to-do-Liste und ein spontaner Abstecher ins Tessin, bei welchem sich das einzig verfügbare Hotelzimmer in (Ambri-)Piotta fand, bot unverhofft die Gelegenheit, diese Pendenz abzuhaken. 

Den Aufstieg kürzte ich grösstenteils mit Standseilbahn ab und die Fahrt den Berg hoch war beeindruckend: Die Ritombahn ist eine der steilsten der Welt und von Abschnitt zu Abschnitt schien das Gefälle zuzunehmen. Teilweise hatte ich das Gefühl, dass es fast senkrecht hoch ging. Ich hatte zunächst mit dem Gedanken gespielt, zu Fuss zum Ritomsee hochzusteigen, doch während der Fahrt war ich froh, dass ich von diesem Gedanken wieder abgekommen war.

Von der Bergstation der Bahn war es nur ein kurzer Spaziergang entlang einer Fahrstrasse bis zur Staumauer des Ritomsees. Ich entschied mich, entlang des unbewaldeten Ufers zu wandern und so hatte ich eine schrankenlose Sicht auf den blauen See. 

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Nachdem ich den See hinter mir gelassen hatte, öffnete sich die Landschaft und ich erreichte das Val Piora. Tief unten hatte sich ein Wildbach ins helle Gestein gegraben. Piora resp. die "Piora-Mulde" war mir bisher vor allem als berüchtigte geologische Störzone beim Bau des Gotthard-Basistunnels ein Begriff. Von aussen gesehen war die Piora-Mulde eine liebliche, ausgedehnte Weidelandschaft.

Eine Bewegung im Augenwinkel erregte meine Aufmerksamkeit und schon war das Murmeltier in seinem Bau verschwunden. Doch plötzlich schienen die putzigen Tierchen überall aufzutauchen. Während die älteren Tiere friedlich grasten, zeigten sich die Jungen verspielt und jagten sich gegenseitig über die Wiese. So viele Murmeltiere, so nahe und so lange hatte ich noch nie beobachten können. Ich kam mit dem Fotografieren fast nicht mehr nach. Selbst als ich Pause machte und mich hinsetzte, liessen sie sich nicht von mir stören. Ich konnte mich fast nicht mehr losreissen von so viel Niedlichkeit!

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Schliesslich bog der Weg Richtung Val da Tiarms ab. Ein kurzer Aufstieg brachte mich auf den Passo dell'Uomo (2'218 m), wo ein hässlicher, verlassener Betonstall den höchsten Punkt meiner Wanderung markierte. Von da an war der Wanderweg mit lockerem Geröll bedeckt, was das Gehen mühsam machte, so dass der Abstieg wenig Freude bereitete. Richtig Mitleid hatte ich mit den zahlreichen Mountainbikern, die vom Lukmanier herkommend ihr Velo den Schotter hinaufschoben. 

Einziger Pluspunkt beim Abstieg war die Sicht auf den Lai da Sontga Maria, der immer näher kam. Vor einem Monat hatte ich bereits eine Wanderung zur Capanna Bovarina auf dem Lukmanier begonnen resp. beendet. Im Gegensatz zu damals war der Stausee diesmal gut gefüllt. 

Auf der Passhöhe deckte ich mich noch mit regionalen Spezialitäten ein, bevor es mit dem Postauto bereits wieder ins Unterland ging.


Wanderinfos:

  • Gewandert: Freitag, 6. August 2021
  • Route: Piora, Bergstation - Lago Ritom - Alpe Ritom - Scopello - Alpe Piora - Val Piora - Passo dell'Uomo - Lai da Sontga Maria - Lukmanierpass
  • Meine Wanderzeit: 3 h 30 min
  • Distanz: 14 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 550 m

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Donnerstag, 12. August 2021

Firn, Fels, Grat - Hochtour auf das Vrenelisgärtli

@wandernohneende
Die Hochtour auf das Vrenelisgärtli stand schon lange auf meiner Wunschliste. Bereits zweimal hatte ich die Tour auf den bekannten Gipfel im Glärnisch fest gebucht, beide Male kam etwas dazwischen: Beim ersten Mal spielte das Wetter nicht mit, beim zweiten Mal mein Blinddarm. Doch alle guten Dinge sind bekanntlich drei und so machte ich mich an diesem verregneten Sonntag auf den Weg ins Glarnerland. 

Die Wolken hingen tief ins Klöntal hinein, als wir zunächst mit Bus und Alpentaxi bequem bis nach Käsern fuhren. Im Nieselregen begannen wir unseren Aufstieg zur Hütte. Durch den Nebel konnte man den Firnbachfall erkennen, doch bald verschwand auch er unter uns in den Wolken und wir hörten nur noch sein Rauschen. Rund um uns herum war es grau und nass und der Weg hatte sich mehr oder weniger mit den zahlreichen Bächen vereint, die den Hang hinunter strömten. 

@wandernohneende
In der Glärnischhütte hatte der Hüttenwart den Holzofen eingefeuert, um all seine durchnässten Gäste wieder trocken zu bekommen. Und uns blieb in der kurzen Nacht nur die Hoffnung, dass die Wetterprognose recht behalten und die versprochene Wetterbesserung tatsächlich eintreffen würde.

Am nächsten Morgen war es noch dunkel, als wir uns gegen halb sechs Uhr in Richtung Vrenelisgärtli auf machten. Die Wassertropfen an den Grashalmen glitzerten im Schein der Stirnlampen, doch von oben blieb es trocken. Nur einzelne Nebelschwaden zogen noch an den senkrechten Felswänden entlang. Beim unteren Firenband gab es die ersten ausgesetzten Stellen zu überwinden, bevor wir schliesslich den Fuss des Glärnischfirns erreichten. Hier montierten wir die Steigeisen und Hans-Peter, unser Bergführer, verband uns zu einer Seilschaft.

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Leicht ansteigend ging es längs über den schneebedeckten Gletscher. Sehr gross ist der Glärnischfirn nicht mehr; ich fand es aber bereits erstaunlich, dass es auf nur rund zweieinhalbtausend Meter überhaupt noch Gletscher gibt. Am anderen Ende des Firns angekommen, deponierten wir unsere Steigeisen. Vor uns lag die Schlüsselstelle der Tour, der Abstieg über eine senkrechte Steilstufe zum Schwander Grat. 

Fix montierte Ketten und einige Stahlstifte helfen beim Abstieg. Ganz wohl war es mir bei der Sache aber trotzdem nicht - das Kletter-Gen fehlt mir immer noch. Viel passieren hätte aber wohl nicht können, da wir immer von unserem Bergführer gesichert wurden; trotzdem war ich froh, als ich unten ankam.

Über den schmalen Schwander Grat - objektiv gesehen wohl gefährlicher als die Kletterpassage, aber für mich eindeutig einfacher zu meistern - ging es weiter. Senkrechte zweitausend Meter unter uns lag der Klöntalersee. Das letzte Stück kraxelten wir über lockeres Geröll hoch und dann standen wir auf dem Vrenelisgärtli (2'905 m). Was für eine Aussicht! Wir nahmen uns viel Zeit, das Gipfelerlebnis in vollen Zügen zu geniessen. 

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Auf dem Gipfelkreuz des Vrenelisgärtlis hängt ein Kessel. Wohl eine Anspielung auf die namensgebende Sage, wonach es sich das junge Mädchen Vreneli in den Kopf gesetzt hatte, auf dem Glärnisch einen Blumengarten anzulegen. Mit einem grossen Kessel auf dem Kopf wollte sie sich gegen den Schneefall schützen, wurde aber zusammen mit Kessel und Blumen vollständig eingeschneit. Ich habe die Moral der Geschichte nie verstanden und fand das Ansinnen, auf fast dreitausend Metern einen Garten anlegen zu wollen, ziemlich unsinnig. Doch zugegebenermassen entdeckten wir inmitten der Steinwüste bunte Blümchen, die dem harschen Klima trotzten - vielleicht doch die Reste von Vrenelis Blumengärtchen.

@wandernohneende
Wir mussten uns schliesslich wieder auf den Rückweg machen. Nachdem wir den Schwander Grat wieder überquert hatten, kam erneut die Kletterstelle (Auf- und Abstieg sind übrigens  richtungsgetrennt und fein säuberlich markiert). Hinaufklettern finde ich generell einfacher als hinunter, und mit etwas weniger Mühe brachte ich die Schlüsselstelle erneut hinter mich.

Danach stiegen wir wieder in unsere Steigeisen und hinab ging es über den Glärnischfirn. Unten angekommen, zogen allmählich immer dichtere Wolken vom Klöntal her hinauf. Uns war es egal, das Wetter hatte an diesem Tag perfekt gepasst. Vor uns stand aber noch ein sehr langer Abstieg, gut achtzehnhundert negative Höhenmeter gilt es zwischen dem Vrenelisgärtli und Käsern zu vernichten. 

@wandernohneende
Bei der Glärnischhütte gab es einen kurzen Zwischenstopp für Kaffee und Kuchen. Im Gegensatz zum Vortag sah man dann Weiterwandern etwas von der Umgebung: Unzählige Bäche fielen über die senkrechten, grün bewachsenen Felswände und fast wähnte man sich in irgendwo in einem asiatischen Dschungel. 

Die lange Tour machte sich langsam aber sicher in meinen Beinen bemerkbar und ich war froh, dass in Käsern das Alpentaxi auf uns wartete. Doch auch wenn ich wusste, dass der Muskelkater in den nächsten Tagen garantiert war - für dieses tolle Erlebnis hatte er sich allemal gelohnt!





Wanderinfos:
  • Gewandert: Sonntag/Montag, 8./9. August 2021
  • Route: Käsern - Glärnischhütte (Sonntag); Glärnischhütte - Glärnischfirn - Schwander Grat- Vrenelisgärtli - Schwander Grat - Glärnischfirn - Glärnischhütte - Käsern (Montag)
  • Unsere Wanderzeit: 1 h 45 min (Sonntag); 8 h (Montag)
  • Distanz: 3,8 km (Sonntag); 13 km (Montag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 720 m (Sonntag); 1'100 m (Montag)
  • Übernachten: Glärnischhütte SAC