Donnerstag, 23. Dezember 2021

Spital mit Schneeschuhen

@wandernohneende
Es war an der Zeit, die Schneeschuhe aus dem Keller zu holen und nach Schnee zu suchen. Während der Anfahrt in die Innerschweiz setzte sich im Zug von Wädenswil nach Einsiedeln eine gesprächige ältere Dame zu mir ins Abteil, die auf dem Weg war, ihre Schwester im Spital zu besuchen. Wie der Zufall wollte, war das (fast) auch mein Ziel, doch ich wollte auf den Spital und nicht in das Spital.

Von der Busstation in Unteriberg waren es nur wenige Meter bis zum Einstieg in den durchgehend ausgezeichnet markierten Schneeschuhtrail. Die Tour begann mit einem Aufstieg über einen Sonnenhang und bald versorgte ich meine beiden Jacken im Rucksack. Am Berghaus Höchgütsch vorbei erreichte ich den Waldrand, wo sich eine geschützte Bank an der prallen Sonne geradezu für einen Halt aufdrängte.

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Mit Blick auf den Druesberg schlürfte ich meinen Tee, bis ich die Pause schliesslich abbrechen musste, weil es mir zu warm wurde. Ich war froh, dass das nächste Stück durch den schattigen Wald führte und etwas abflachte. Der Weg schlängelte sich durch die Bäume und über diverse Waldlichtungen, bis schliesslich das Gipfelkreuz auftauchte, wohin ein letzter, etwas steilerer Aufstieg führte.

Der unbewaldete, freistehende Gipfel des Spitals (1'573m) bot eine überraschend schöne und umfassende Rundsicht über die Innerschweizer Bergwelt, mit der ich nicht gerechnet hatte. Es war höchste Zeit gewesen, dass ich diesen kleinen Berg entdeckt hatte. Ein Blick auf die SAC Tourenkarte zeigte zudem, dass es auch eine Option gibt, den Spital mit dem Furggelenstock zu verbinden. Doch für meinen Formstand wäre dies an diesem Tag zu viel gewesen.

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Entsprechend stieg ich entlang des Kamms mit direkter Sicht auf Einsiedeln und den Sihlsee ab. Nach der Bögliegg bog der Trail abschüssig in ein Tobel ein mit dem seltsamen Namen Ijenruns. Beim Ijenschatten erreichte ich den Talboden und dann ging es flach entlang des Grossbachs talauswärts. Die Äste der Bäume am Ufer waren von dichten Eisnadeln bedeckt und vermittelten das Gefühl von einem Märchenwald.

Bei der Rämpelensäge musste ich kurzzeitig meine Schneeschuhe ausziehen, um eine geräumte Strasse zu überqueren, doch danach konnte ich sie fast bis zur Busstation in Gross anbehalten. Eine tolle Tour, die ich sicher wiederholen werde, und die ein würdiger Start in die Schneeschuhsaison war.


Wanderinfos:

  • Gewandert: Samstag, 18. Dezember 2021
  • Route: Unteriberg, Guggelstrasse - Höchgütsch - Alt Plangg - I de Blätze - Wettsteinrain - Spital - Bögliegg - Ijenruns - Ijenschatten - Rämpelensäge - Entenbach - Gross, Ebenau (ausgeschilderter Schneeschuhtrail) => die Route führt durch eine Wildruhezone, markierte Wege nicht verlassen
  • Meine Wanderzeit: 3 h 30 min
  • Distanz: 9,7 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 670 m
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Donnerstag, 25. November 2021

Von Arosa nach Davos: Brünstige Hirsche, heimeliges Heimeli und ein steiler Tritt

@wandernohneende
Die Anzeichen des herannahenden Herbstes waren nicht zu übersehen, als mich erneut eine Wanderung ins Graubünden führte, diesmal für eine Tour, die Rico organisiert hatte. Gemütlich tuckerten wir mit dem Bähnchen bis nach Arosa. Dort gab es eine Stärkung in einem Café, bevor wir uns dem Wandern zuwandten. Ohnehin war an diesem Wochenende das Kulinarische mindestens so wichtig wie das Wandern.

Zunächst ging es durch das Dorf abwärts zum kleinen Isel-Stausee und auf dessen anderen Seite mit einer stetigen, angenehmen Steigung immer leicht aufwärts durch einen herbstlich gefärbten Wald und verlassene Alpen. Im beschaulichen Weiler Medergen legten wir auf der Terrasse des Restaurants Alpenrose eine Pause ein und genossen ein Bier in der warmen Herbstsonne.

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Über eine offene Heidelandschaft erreichten wir schliesslich das Sapün, wo wir vom lauten Röhren eines zunächst unsichtbaren Hirsches begrüsst wurden. Beim Seebjiboden - wo es tatsächlich einen kleinen Tümpel gab - fing der Abstieg ins Tal hinunter an und wir waren uns bewusst, dass wir diese Strecke am nächsten Tag wieder hochsteigen mussten. 

Wir hielten immer wieder Ausblick nach dem Hirsch und dann sahen wir ihn: Majestätisch mit seinem riesigen Geweih stand er hoch oben auf dem Bergkamm und schaute auf uns herunter. Etwas weiter unten entdecken wir auch sein umfangreiches Harem, das in einer steilen Wiese weidete.

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Die Nacht verbrachten wir im Berggasthaus Heimeli, wo der Name Programm ist: In der liebevoll dekorierten Unterkunft liessen wir uns mit einem Gourmetmenu verwöhnen, bevor wir uns - begleitet vom anhaltenden Röhren des Hirsches - in bequemen Betten schlafen legten.

Am nächsten Morgen als wir zurück zum Seebjiboden hochstiegen, versuchte der Hirsch noch immer, seine Damen lauthals zu bezirzen; seine Ausdauer war bewundernswert. Unsere Ausdauer sollte noch getestet werden, doch nachdem wir wieder den kleinen See beim Seejiboden erreicht hatten, ging es zunächst fast flach ins Chüpfer Tälli hinein und nur die vielen reifen Heidelbeeren, die degustiert werden mussten, verlangsamten unser Vorwärtskommen. 

Je näher wir der senkrechten Felswand kamen, welche den Talkessel abschloss, desto unwahrscheinlicher schien es mir, dass es dort ein Weiterkommen gab. Doch schliesslich konnte man die rotbraune Treppe im grauen Fels gut erkennen. Die letzten Meter vor dem Einstieg in den Tritt führten über ein abschüssiges Schotterfeld, das ausgesetzter war als die anschliessende Treppe. Tritt für Tritt ging es 220 Eisenstufen hinauf. So bringt man Höhenmeter effizient hinter sich!

Über eine sumpfige Wiese erreichten wir die Latschüelfurgga und von da war es nicht mehr weit zum Strelapass, wo wir uns mit einem leckeren Flammenkuchen stärkten. Anschliessend ging es nur noch abwärts und wir hatten eine guten Ausblick auf das "Goldene Ei" von Davos. Bei der Mittelstation der Parsennbahn beendeten wir die Wanderung und gönnten uns für den Rest des Abstiegs die Bahn.



Wanderinfos

  • Gewandert: Samstag/Sonntag, 2./3. Oktober 2021
  • Route: Arosa - Stausee Isel - Furggenalp - Medergen - Seebjiboden - Jatz (Samstag); Jatz - Seebjiboden - Tritt - Latschüelfurgga - Strelapass - Schiawang - Parsennbahn, Höhenweg (Sonntag)
  • Unsere Wanderzeit: 3 h 30 min (Samstag); 4 h (Sonntag)
  • Distanz: 11 km (Samstag); 11,5 km (Sonntag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 600 m (Samstag); 800 m (Sonntag)
  • Übernachten: Berghotel Heimeli, Sapün
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Donnerstag, 4. November 2021

Auf dem Walliser Sonnenweg von Crans-Montana nach Leukerbad

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Passend zu einem sonnigen Herbsttag im Wallis machte ich die Wanderung über den "Walliser Sonnenweg" von Crans-Montana nach Leukerbad. Ausgerechnet hatte ich eine Wanderzeit von ungefähr sieben Stunden, entsprechend war ich bereits früh auf den Beinen.

Es dauerte eine Weile, bis ich die letzten Häuser von Crans-Montana und die kahlen Skipisten, auf denen die Schneekanonen für die herannahende Wintersaison schon bereit standen, hinter mir gelassen hatte. Erste Sonnenstrahlen fanden ihren Weg durch die letzten Wolkenreste und liessen das Rhonetal erstrahlen. Die morgendliche Idylle wurde gestört durch laute Motorengeräusche, für die ich zunächst keine Erklärung fand. Als ich schliesslich eine Lichtung erreichte, löste sich das Rätsel auf: An den Hängen oberhalb von Sierre fand an diesem Tag die Rallye du Valais statt und ich sah nicht nur einige der Rennautos, die lärmend und staubend durch den Wald rasten, sondern auch zahlreiche Zuschauer, die es sich am Wegrand bequem eingerichtet hatten.

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Das laute Dröhnen der Motoren bildete einen scharfen Gegensatz zur lieblichen Landschaft: Entlang der Bisse de Tsittoret ging es auf einem sorgfältig angelegten Wanderweg durch gelb verfärbte Lärchenwälder. Erst als es ich die Suone hinter mir liess und den kleinen Wildbach La Tièche überquerte, verstummten allmählich auch die Motorengeräusche.

Richtig spektakulär wurde die Wanderung schliesslich, als ich die Baumgrenze erreichte und die Sonne die letzten Wolkenfetzen aufgelöst hatte, so dass nichts mehr den Blick auf das Panorama der Walliser Bergprominenz störte: Aufgereiht einer neben dem anderen hoben sich die schneebedeckten Viertausender vom blauem Himmel ab. Einer davon - aus dieser Perspektive kaum erkennbar - das Matterhorn, wie mir Peak Finder verriet. 

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Das Planigrächtli (2'231 m) bildete den höchsten Punkt der Wanderung. Ich genoss die Sonne, die schier unbegrenzte Bergsicht, die leuchtenden Herbstfahren und trödelte einfach nur so vor mich hin, bis mich ein Wegweiser daran erinnerte, dass ich noch ein ziemliches Stück von meinem Ziel entfernt war. Da war es gut, dass es nur noch abwärts ging: Über einen steilen, ausgewaschenen Pfad stieg ich zunächst bis zum Chäller ab, wo ich der kleinen Theodulskappelle einen Besuch abstattete. 

Danach bog der Weg in Richtung Leukerbad ab und führte unter den senkrechten Steilwänden der Chällenflüe durch. Bald kamen im Talgrund die ersten Häuser von Leukerbad in Sicht. Bis ich aber das Ortszentrum ganz am Ende des Talkessels erreicht hatte, dauerte es noch eine Weile: Der Abstieg durch die bunten Laubwälder war zwar nicht steil, aber lang und machte sich langsam aber sicher in meinen Füssen bemerkbar. 

Ich erreichte schliesslich Leukerbad noch früh genug, um auf dem Balkon meines Hotelzimmers die letzten Sonnenstrahlen mit hochgelagerten Beinen und mit einem kühlen Bier geniessen zu können. Als ich indes zur Gemmi hoch sah - das Ziel für den nächsten Tag - fingen die Füsse sofort wieder zu schmerzen an.



 Wanderinfos:

  • Gewandert: Samstag, 23. Oktober 2021
  • Route: Crans-Montana - Les Marolies - Courtavey - Bisse de Tsittoret - Cave du Sex - Plänigrächtli/Vaneralp - Chäller - Larschi - Fiess - Grantscheten - Leukerbad (Etappe 1 des Walliser Sonnenwegs/Regionale Route Nr. 61)
  • Meine Wanderzeit: 6 h 15 min
  • Distanz: 23 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'230 m

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Sonntag, 10. Oktober 2021

Albrunpass und Alpe Devero - Italienische Köstlichkeiten

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Das Jahr 2021 entwickelte sich langsam aber sicher zum "Bündner Jahr". Schon wieder stand eine Wanderung im Graubünden an, diesmal im Binntal. Da ich bereits am Vortag nach Fiesch angereist war, ergatterte ich noch einen Sitzplatz im überfüllten Postauto Richtung Binn. Daniel, der Organisator des Wochenendes, stieg erst eine Station später zu und musste wie viele andere Wanderer mit einem Stehplatz vorlieb nehmen.

In Binn stieg unser Grüppchen vom grossen Postauto in einen kleinen Mini-Postbus um, der uns über eine sehr enge Strasse - manchmal kaum mehr als ein Feldweg - bis nach Brunnebiel brachte. Nach einem Startkaffee in einem kleinen Alpbeizli startete die eigentliche Wanderung. Entlang der rauschenden Binna ging es auf einem breiten Weg immer tiefer ins Binntal hinein. Ich hatte das Tal schon einmal durchquert, im Winter auf Schneeschuhen von der Mittlenberghütte herkommend. 

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Langsam gewannen wir an Höhe, doch steil wurde es nie wirklich. Ab und zu gab es Stellen mit weissem, glitzerndem Sand, der eher in die Südsee als in die Alpen gepasst hätte, doch für Mineralien ist das Binntal ja bekannt. Bald kam unser erstes Zwischenziel, die Binntalhütte, in Sicht. Dort gab es Kuchen und ein erstes Glas Wein, um auf das bis dahin sehr sonnige Wochenende anzustossen. 

Nach der Hütte wurde die Landschaft felsiger und schliesslich erreichten wir den Albrunpass, der nur noch aus grossen Gesteinsblöcken bestand. Einer davon war der Grenzstein zu Italien. Auf der italienischen Seite ging es wieder abwärts und nach einer Biegung öffnete sich die Landschaft. Unter uns lag die ausgedehnte Hochebene mit dem grossen Lago di Devero und dem kleinen, namenlosen alten Stausee. Die beiden Seen hoben sich blau glitzernd von der grünen Umgebung ab. Einfach nur schön! 

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Ein Ziegenbock mit seinem ansehnlichen Ziegenharem begleitete uns auf unserem Weg zum kleineren der beiden Seen und posierte als Fotosujet. Am grossen See angekommen, entschieden wir uns, diesen rechter Hand zu umlaufen. Dafür mussten wir wieder ein paar Höhenmeter hochsteigen, wurden aber für die zusätzliche Anstrengung mit einer schönen Sicht über den blauen Stausee belohnt.

Der See wurde durch eine massive Staumauer abgeschlossen. Von dort war es nur noch ein Katzensprung bis zu unserem Zielort: Crampiolo ist ein idyllisches, herausgeputztes Minidörfchen mitten auf einer grünen Wiese. Wir übernachteten in der Albergo La Baita und die grösste Herausforderung des Tages war schliesslich, all die italienischen Köstlichkeiten zu verspeisen, die uns serviert wurden, ohne dass der Bauch platzte.

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Für den nächsten Tag war geplant gewesen, über den Geisspfad zurück nach Binn zu wandern. Eine Strecke, von der ich schon viel gehört und auf die ich mich sehr gefreut hatte. Doch die Regenmenge, welche die Wetterprognose für den Sonntag vorhersagte, stieg kontinuierlich an und schliesslich war klar, dass jeder Wanderversuch in kürzester Zeit in völliger Durchnässung geendet hätte. 

Doch in der Krise zeigte Daniel seine wahren Qualitäten als Organisator: Mit seinem mehrsprachigen Verhandlungsgeschickt organisierte er uns nicht nur ein Taxi ab der Alpe Devero, sondern auch einen Transport von Crampiolo bis zur Alpe Devero im Pinzgauer des Restaurantsbesitzers, so dass wir trotz strömendem Regen völlig trocken in Domodossola ankamen. Dort kannte Daniel zudem das hippste Café der Stadt, so dass wir die Wartezeit, bis der Zug zurück in die Schweiz fuhr, stilvoll überbrücken konnten. Und weil Daniel sich als ein so guter Organisator erwiesen hatte, muss er die Wanderung nächstes Jahr nochmals organisieren, damit wir den Geisspfad nachholen können.



Wanderinfos:

  • Gewandert: Samstag/Sonntag, 18./19. September 2021
  • Route: Binn, Brunnebiel - Chiestafel - Binntalhütte SAC - Albrunpass - Pianboglio - Alpe Perego - Lago di Devero - Crampiolo
  • Unsere Wanderzeit: 4 h 30 min
  • Distanz: 13,7 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 700 m
  • Übernachten: Albergo La Baita, Crampiolo

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Donnerstag, 23. September 2021

Besuch beim Gletscherseeli am Klausenpass (mit Abstecher auf den Chamerstock)

@wandernohneende
In meinem Facebook-Feed tauchten in den letzten Monaten wiederholt Fotos von einem idyllischen Gletscherseeli in der Nähe des Klausenpass auf. Ein Blick auf die Karte zeigte, dass sich eine Wanderung dorthin gut mit einer kleinen Gipfeltour zum Chamerstock verbinden liess. Dieser markante Gipfel, der den Eingang zum Urnerboden flankiert, war während der kurvigen Postautoanfahrt bereits gut erkennbar - ebenso die Höhenmeter, die es hinaufgehen würde.

Ich stieg etwa in der Mitte des Urnerbodens aus dem Bus und dann ging es tatsächlich eine Weile nur nach oben, wenn auch längst nicht so steil, wie ich befürchtet hatte. Der erste Teil des Aufstiegs führte durch einen angenehm kühlen Wald, der zweite durch weitläufige Weiden mit viel Blick über den langgezogenen Talboden (der Urnerboden ist - gemäss den lehrreichen Ausführungen des Postautochauffeurs - die grösste Alpwirtschaft der Schweiz). 

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Beim Punkt 2150 m erreichte ich den Fisetengrat und für den Abstecher zum Gipfel musste ich sogar ein paar Meter abwärts laufen. Doch diese lohnten sich: Der Chamerstock (2'123 m, keine Gipfelmarkierung) bot eine tolle Aussicht nach Linthal und zum Vrenelisgärtli mit dem Schwandergrat (und weckte damit Erinnerungen an meine Hochtour vom August). Drehte ich mich um, gab es einen Einblick ins Limmerntal mit dem Limmerstausee (und Erinnerungen an eine Wanderung von vor zwei Jahren). Und über allem thronte der Tödi.

Ich ging die paar Schritte zurück zum Fisetengrat und folgte seiner abschüssigen Krete bis zum Fisetenpass. Dorthin würde auch eine kleine Seilbahn fahren, man könnte sich den Aufstieg also sparen, doch heute bereute ich meine Wahl nicht. Weiter ging es zunächst leicht abwärts, direkt am Fuss von Gemsfairenstock und Clariden entlang (ebenfalls Berge, die Erinnerung hochkommen liessen). Beide Gipfel verhüllten sich immer wieder vornehm in den Wolken. Grosse, von Gras und Blumen überwachsene Felsbrocken prägten die Landschaft.

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Beim Gemsfairenhüttli hätte es Gelegenheit zum Einkehren gegeben, doch ich wähnte mich nur noch einen Katzensprung vom Gletscherseeli entfernt. Eine Fehleinschätzung, wie ich feststellte, als der Weg wieder einstieg. Je näher ich dem See kam, desto gerölliger wurde der Untergrund; frische Wegmarkierungen sorgten dafür, dass der Weg durch die Steinwüste problemlos zu finden war. 

Während ich auf dem ersten Teil der Wanderung fast alleine unterwegs gewesen war, nahm die Anzahl der Wanderer plötzlich exponentiell zu. Auffällig viele davon waren im besten Instagram-Alter; der Facebook-Algorithmus hatte das Gletscherseeli offensichtlich nicht nur in meinen Feed hochgespült.

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Und dann lag es endlich unter mir, das Gletscherseeli, in natura genauso idyllisch wie auf den Fotos. Laut Karte ist es namenlos, inoffiziell wohl das Griessseeli. Die Uferwände aus Eis und das milchig-blaue Wasser machen es zweifellos zu einem kleinen Gletschersee, wobei unter dem Schutt am Claridenfuss kaum mehr viel Gletscher übrig ist. Ganz so idyllisch und harmlos, wie er mir auf den ersten Blick schien, ist der kleine See aber nicht immer: Zwei Kameras überwachen seinen Abfluss, seit er vor ein paar Jahren den Urnerboden zu überfluten drohte.

Ich vergass etwas die Zeit, während ich mich am Seeufer ausruhte und die schöne Umgebung genoss. Schliesslich musste ich mich beeilen, um das Postauto zu erwischen. Da war es gut, dass es nur noch abwärts ging, nachdem ich die Moräne, die denn See umgibt, überstiegen hatte. Im Nu erreichte ich den Klausenpass, wo das Postauto bereits wartete.


Wanderinfos:

  • Gewandert: Sonntag, 12. September 2021
  • Route: Urnerboden, Sonne - Wängi - Chamerstock - Fisetengrat - Fisetenpass - Hasentrittli - Gemsfairenhüttli - Gletscherseeli (Griessseeli) - Klausenpass
  • Meine Wanderzeit: 5 h 15 min
  • Distanz: 16,9 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'300 m

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Donnerstag, 16. September 2021

Lago di Lei - Unterwegs im italienisch-bündernischen Grenzgebiet

Lago di Lei, Avers
Ich hatte Ende Januar ein verlängertes Schneeschuhwochenende im Avers verbracht und mir schon damals versprochen, das abgelegene Bergtal auch mal im Sommer zu besuchen. Schneller als gedacht ergab sich dazu die Gelegenheit.

Das Avers mag abgelegen sein, unbekannt ist es hingegen nicht, wenn man das überfüllte Postauto als Massstab nahm. Ich war froh, als ich in Innerferrera aussteigen und den Menschenmassen entfliehen konnte. 

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Der Wanderweg folgte zunächst auf der alten Aversstrasse dem Averser Rhein. Der viele Regen der letzten Zeit hatte dafür gesorgt, dass die Vegetation üppig grün war - und der Weg immer wieder Teil eines Bachlaufs. Bald verliess ich das Haupttal und bog ins Val digl Uors ein. Der Einstieg in dieses Seitental begann mit einem Aufstieg durch ein steiles Waldstück. In einer etwas flacheren Lichtung vereinten sich zwei rauschende Bäche und ich war begeistert von der lieblichen Landschaft.

Nur ein paar Meter weiter stolperte ich fast über einen Grenzstein, der anzeigte, dass ich mich jetzt in Italien befand. Ich liess den Wald hinter mir und plötzlich öffnete sich die Landschaft und vor mir lag das Valle di Lei, das in der Mitte durch einen mächtigen Staudamm geteilt wird.

Auf einer breiten Fahrstrasse ging es flach zwei italienischen Alpen entlang, bis ich den Staudamm erreichte. Der Grenzverlauf ist hier sehr speziell: Während die Staumauer auf Schweizer Boden liegt, ist der Rest des Sees und des Tals italienisch.

Lago di Lei, Avers
Ich machte unzählige Fotos von dem grossen, blauen See, in dem sich die umgebenden Berge spiegelten, während ich die Staumauer überquerte. Auf der anderen Seite gab es ein kleines Infocenter über die Energiegewinnung und die Geschichte des Stausees.

Auf Schweizer Boden ging es dann wieder aufwärts. Der breite Weg wand sich in langgezogenen Kurven den Hang hoch, so dass es nie wirklich steil war. Die Mittagssonne und der fehlende Schatten brachten mich trotzdem heftig ins Schwitzen, bis ich endlich die Furgga (2'167 m) erreicht hatte. Unter mir lag jetzt wieder das Avers.

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Um den Abstieg in Angriff nehmen zu können, musste ich einen Zaun überqueren, an welchem ein Schild angebracht war, das mit den Worten "MÖGLICHE TODESGEFAHR!" vor Mutterkühen warnte. Ich musterte argwöhnisch ein paar Tiere, die etwas weiter unten mitten auf dem Wanderweg weideten. Ich überlegte mir schon Alternativrouten, als eines der Tiere mit dem Schwanz schlug und damit klar erkennbar wurde, dass es sich vielleicht um eine Mutter handelte, aber keinesfalls um eine Kuh. Vielmehr war es eine kleine Gruppe von Pferden und Eseln, die mich kaum beachteten, als ich sie passierte.

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Über Weiden und Wälder ging es hinunter, bis ich in der Nähe von Cröt wieder auf die alte Aversstrasse und den Averser Rhein traf. Das letzte Stück zog sich dann hin und als auf der anderen Talseite ein Postauto auf der neuen Aversstrasse an mir vorbeifuhr, fragte ich mich schon, warum ich mir diesen eher überflüssigen Gegenanstieg überhaupt antat. 

Das erste Haus von Cresta, das in Sicht kam, war dann aber bereits mein Hotel und beim kühlen Bier auf der Terrasse, mit Blick auf das Grosshorn, das ich im Winter mit Schneeschuhen erklommen hatte, liessen sich die Ferien wieder geniessen.





Wanderinfos:

  • Gewandert: Donnerstag, 12. August 2021
  • Route: Innerferrera - Val digl Uors - Alpe Motta - Alpe del Crot - Lago di Lei - Furgga(Passo del Scengio - Furggawold - Lezibrücke - In der Chella - Cresta (Avers)
  • Meine Wanderzeit: 5 h
  • Distanz: 15 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'150 m

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Donnerstag, 2. September 2021

Von der Cavardiras- zur Puntegliashütte: Weglos durch die unberührten Hochtäler der Surselva

@wandernohneende
Nachdem ich zwei Wochen zuvor das Avers bewandert hatte, ging es erneut ins Graubünden, diesmal in die Surselva. Ivan hatte eine dreitägige Tour zusammengestellt, die äusserst verlockend klang, obwohl es mich schon etwas beunruhigte, dass die Wege, die er gehen wollte, teilweise nicht einmal auf der Karte eingezeichnet waren.

Von Disentis ging es zunächst bequem mit der Seilbahn bis Caischavedra. Auch der erste Teil der Wanderung war nur wenig anstrengend und führte mässig ansteigend entlang der Talflanke. Erst als nach dem Lag Serein die Wegmarkierung von rot/weiss auf blau/weiss änderte, nahm die Steigung zu. Die Wegfindung war dabei noch kein Problem: Gefühlt jeder zweiter Felsen war blau/weiss angemalt; irgendjemand hatte wohl überflüssige Farbe aufbrauchen müssen. 

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Schroffe Felsen umschlossen den Talkessel und je näher wir ihnen kamen, desto steiler und felsiger wurde auch der Untergrund. Eine schöne Kraxelei durch ein Couloir brachte uns die letzten Höhenmeter auf den Brunnipass (2'739 m) hinauf und damit öffneten sich schlagartig neue Horizonte: Unter uns strahlte der Brunnifirn im Sonnenschein und man wähnte sich in einer komplett anderen Welt. Wir konnten uns an der vergletscherten Bergwelt, die vor uns lag, kaum satt sehen.

Wir balancierten über den Blockgrat, bevor wir über die grossen Felsblöcke - assistiert durch Leitern und Ketten - zum Gletscher hinunter kletterten. Die kurze Strecke über den Brunnifirn war mit orangen Verkehrskegeln gekennzeichnet und bald danach kam schon die Cavardirashütte, unser Etappenziel, in Sicht.

@wandernohneende
Es wurde eine kurze Nacht, bereits um sechs Uhr liefen wir im Schein der Stirnlampen von der Hütte ab. Wir hatten eine über siebenstündige Wanderung vor uns und wollten die Puntegliashütte vor dem für den Nachmittag angekündigten Regen erreichen. Im Dunkeln ging es den felsigen Hüttenweg hinunter und ich war manchmal froh, dass man nicht genau erkennen konnte, wie ausgesetzt es tatsächlich war.

Als wir den Talboden des Val Russein erreichten und den kleinen Fluss überquerten, verliessen wir den offiziellen Wanderweg und stiegen eine Wiese hoch, wo wir eine schmale Wegspur erreichten, die einem abschüssigen Hang entlang in ein Seitental hineinführte. Ab da markierten nur noch vereinzelte orange Striche und Steinmännchen die Route.

Unser Plan, früh zu starten, um dem Regen auszuweichen, funktionierte zunächst nur bedingt, denn fast von Beginn weg hatte es immer wieder in unterschiedlichen Stärken genieselt. Richtig nass wurden wir aber nicht vom Regen, sondern vom Wasser, das sich am kniehohen Gras gesammelt hatte und den Hosenbeinen entlang direkt in die Schuhe lief. Schon bald hatte ich ein unangenehm feuchtes Gefühl in meinem linken Schuh.

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Bei der Alp Russein da Munstér gab es ein letztes Mal Kontakt mit der Zivilisation und einen richtigen Weg. Fast gleichzeitig zog dichter Nebel vom Val Russein hoch und einen Moment lang war ich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, bei diesen Wetterbedingungen eine weglose Wandertour zu machen. Doch meine Bedenken waren unbegründet, Ivan hatte die die Wegfindung jederzeit sicher im Griff.

Ein oranger Pfeil zeigte die Abzweigung Richtung Val Gliems an. Zwischen einem Wasserfall und einem kleinen Wäldchen stiegen wir nach oben und dann traf die prognostizierte Wetterbesserung doch noch ein: Der Nebel verzog sich und zwischen den Wolken blitzte ab und zu die Sonne durch. Wir machten eine kurze Pause, damit Ivan das Wasser aus seinen Bergschuhen leeren konnte.

@wandernohneende
Während beim Einstieg in den Hang zunächst noch eine Wegspur sichtbar gewesen war, verlor sich diese allmählich im hohen Gras, je weiter wir nach oben stiegen. Nur sporadisch bestätigte eine orange Markierung, dass wir uns noch auf der richtigen Fährte befanden. "Steil" ist ein unzureichendes Adjektiv, um die Neigung der Wiese zu beschreiben. Über vierhundert Höhenmeter galt es auf einer Distanz von nur einem Kilometer zu bewältigen. Meine ganze Konzentration galt einem sicheren Tritt, denn Ausrutschen im nassen Gras hätte eine fatale Rutschpartie zur Folge haben können.

In den dringend notwendigen Verschnaufpausen konnte man einen Blick zurück ins Cavardirastal hineinwerfen und wenn man genau hinsah, konnte man sogar noch die Hütte erkennen, bei der wir am Morgen gestartet waren. Ich war sehr froh, als das Gelände endlich etwas abflachte. Ein coupierter Übergang brachte uns ins Val Gliems. Vor uns lag eine komplett flache Schwemmebene, die von zahlreichen Wasserläufen durchzogen war. Kleine gelbe Blumen wuchsen zwischen dem grauen Schotter und verliehen der kargen Landschaft einen Farbtupfer.

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Die Hochebene wurde abgeschlossen durch hohe Schuttkegel, die sich unter den Felswänden aufgetürmt hatten. Ivan hatte uns versprochen, dass der zweite Teil des Aufstiegs nicht mehr so steil sein würde wie der erste, aber ein Blick den Berg hinauf zeigte, dass dies brandschwarz gelogen war. Sich zu beklagen nützte aber wenig, zumal ich all meine Energie zum Hochsteigen brauchte. 

Der feine Schotter bot nur bedingt Halt und man musste aufpassen, dass man nicht nach jeden Schritt einfach wieder runterrutschte. Während die meisten Berge um uns herum wiess-grau waren, hob sich ein einzelner brauner Felsrücken von seiner Umgebung ab. Ihm folgten wir immer höher und die Form des Schotters veränderte sich von eckigen Kieselsteinen zu flachen Schieferplättchen.

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Eine halbe Rolle Traubenzucker später hatte ich es geschafft: Wir standen auf der Fuorcla da Punteglias (2'811 m) zwischen spitzen Felsen und konnten das gleichnamige Tal sehen. Über ein paar übrig gebliebene Schneefelder ging es stotzig hinunter in das Hochtal, das noch rauher und karger schien als dasjenige, das wir gerade hinter uns gelassen hatten. Die wenigen Reste des Puntegliasgletscher klebten an den senkrechten Bergwänden. Der zurückweichende Gletscher hatte rund abgeschliffene Felsen zurückgelassen, die Wellen zu bilden schienen und der steinigen Umgebung eine unbeschreibliche Dynamik verliehen. 

Auf einer Moräne aus grossen Gesteinsblöcken folgten wir dem Gletschervorfeld. Die Steinmännchen wurden zahlreicher und als schliesslich zwei Laternen den Weg zu einer Brücke wiesen, war klar, dass es nicht mehr weit sein konnte zur Hütte.

Tatsächliche tauchte die Puntegliashütte bald hinter einem grossen Felsen auf. Die Hüttenwarte begrüssten uns herzlich. Wir waren die einzigen Gäste und mir gefiel die kleine, liebevoll geführte Hütte mit der familiären Atmosphäre sofort. Nachdem unsere Füsse wieder trocken waren, starteten wir die Erholung von den Strapazen des Tages mit Bier und Schokoladenkuchen. 

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Am nächsten Tag stiegen wir über den Hüttenweg ins Val Punteglias ab. Im Aufstieg und bei trockenen Verhältnissen wäre dies ein spannender und abwechslungsreicher Pfad über zahlreiche Felsplatten gewesen; im Abstieg und bei Nässe musste man aufpassen, auf den abschüssigen Felsen nicht ins Rutschen zu geraten. 

Bei der Alp Punteglias bogen wir in den Panormaweg ein - auch wenn die Wolken grosse Teile des Panoramas verdeckten - und in einem lockeren Auf und Ab ging es den Hang entlang. Üppig grüne Wälder und Wiesen bildeten einen Gegensatz zur felsigen Landschaft des Vortages. Schon bald kam Brigels in Sicht, wo wir schliesslich unsere Wanderung beendeten.

Es war eine anstrengende, aber ungemein eindrückliche Wanderung gewesen, durch einsame und karge Landschaften, die einem immer wieder staunen liessen. Ich hatte bei den steilen Aufstiegen viel geflucht, doch am Schluss hat sich jeder Höhenmeter gelohnt!

 


Wanderinfos:

  • Gewandert: Samstag/Sonntag/Montag, 21./22./23. August 2021
  • Route: Disentis, Caischavedra - Lag Serein - Brunnipass - Brunnifirn - Fuorcla da Cavardiras - Cavardirashütte (Samstag); Cavardirashütte - Val Cavardiras - Plaun Lavazzas - Stavelets Su - Alp Russein da Mustér - Pkt. 1790 - Val Gliems - Fuorcla da Punteglias - Puntegliashütte (Sonntag); Puntegliashütte - Alp da Punteglias - Alp da Schlans Sut - Plaun da Plaids - Breil/Brigels (Montag)
  • Unsere Wanderzeit: 3 h 30 min (Samstag); 7 h 30 min (Sonntag); 3 h 30 min (Montag)
  • Distanz: 7 km (Samstag); 15,5 km (Sonntag); 11 km (Montag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 970 m (Samstag); 1'200 m (Sonntag); 240 m (Montag)
  • Übernachten: Camona da Cavardiras CAS (Samstag); Camona da Punteglias CAS (Sonntag)
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Route Cavardiras- Puntegliashütte (Sonntag)



Donnerstag, 26. August 2021

Jenatschhütte: Bunte Steinwüste zwischen Julierpass und Val Bever

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Vor zwei Jahren hatte ich den Jahreswechsel auf der Jenatschhütte verbracht. Mir hatte die - damals tiefverschneite - Landschaft sehr gut gefallen. Entsprechend wollte ich mir die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Tour im Sommer zu wiederholen. 

Ich hatte in Bivio übernachtet und da der Rest der Wandergruppe erst gegen Mittag vom Unterland kommend eintrudelte, beschloss ich, mich zu Fuss zum Treffpunkt bei La Veduta - etwas unterhalb der Julierpasshöhe - aufzumachen. 

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Am Anfang führte der Weg noch abwechslungsreich entlang von Wasserfällen und der rauschenden Güglia, doch bald bildete vornehmlich das Rauschen der Passstrasse die Geräuschkulisse. Es hatte am Vortag kurz geregnet und die feuchte Wärme brachte mich ins schnell ins Schwitzen, obwohl es noch früher Vormittag war. Ich brauchte schliesslich länger als gedacht, bis ich beim Ospizio La Veduta ankam, doch es reichte noch für eine kühlende Cola, bevor meine Wanderkollegen mit dem Postauto eintrafen.

Die Passstrasse liessen wir schnell hinter uns, als wir ins Val d'Agnel einbogen. Beim Aufstieg durch die karge Landschaft fielen uns Gruppen von Leuten auf, die grosse runde Objekte den Hang hinauf schleppten. Bald erfuhren wir, dass es sich dabei um die mühseligen Aufbauarbeiten für ein Kunstprojekt handelte: Eine überdimensionale Uhr soll in einem Felsentor bei der Fuorcla digl Leget aufgehängt werden, wobei die Uhr langsamer wird, wenn sich ein Wanderer nähert (oder schneller; die entsprechenden Erklärungen blieben widersprüchlich). Mir schien Kunst vor allem anstrengend zu sein, wenn man sah, wie sich die zahlreichen Helfer mit den schweren Einzelteilen abmühten. Reto hatte schliesslich Erbarmen und half beim Tragen.

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Der Rest von uns überholte die Kunstbegeisterten rasch und stieg durch ein letztes steiles Geröllfeld zur Fuorcla d'Agnel (2'983 m) hinauf. Rund um uns herum gab es nichts als Fels und Stein, doch die Landschaft war alles andere als eintönig grau: Vielmehr leuchtete der Fels in allen Farben von grün und violett über rot bis braun. Über lockeren Schotter und glattgeschliffene, rot leuchtende Felsen, über welche Wasserfälle rauschten, ging es hinunter zum Talboden zu einem milchig-blauen See. 

Von dort war es dann nicht mehr weit zur Jenatschhütte. Kurz bevor wir diese erreichten, forderte uns ein Pfeil unmissverständlich auf, den direkten, flachen Weg entlang der Höhenlinie zu verlassen und stattdessen einen Umweg zu nehmen, welcher einen Abstieg und einen kurzen Gegenanstieg erforderte. Wir folgten der Aufforderung brav, diskutierten dann aber beim Bier auf der sonnigen Hüttenterrasse heftig, ob die Umleitung einer möglichen Steinschlaggefahr geschuldet war oder der Boshaftigkeit des Hüttenwarts.

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Nach einer kurzen Nacht im voll besetzten Massenlager - ich hatte schon lange nicht mehr so schlecht geschlafen in einer Hütte - starteten wir  fast pünktlich unseren Abstieg. Am Anfang war der Weg noch schmal und steil, aber bald wandelte er sich zu einer breiten Feldweg mit einem angenehmen Gefälle. Die Strecke durch das weitläufige Val Bever war ziemlich lang und nicht zum ersten Mal lenkte mich die Schönheit des Tals, durch welches der gletscherfarbene Bever fliesst, von etwaigen Müdigkeitserscheinungen ab.

In Spinas blieb Zeit für eine kurze Erfrischung, bevor es zurück ins Unterland ging. Die Fahrt nach Zürich dauerte schliesslich fast so lange wie die Wanderung von der Jenatschhütte nach Spinas. Doch trotz der langen Reise, es hatte sich auf jeden Fall gelohnt, der Jenatschhütte auch im Sommer einen Besuch abzustatten. Leider konnte Nicole, welche die schöne Tour ausgesucht und organisiert hatte, unfallbedingt nicht teilnehmen - aber hoffentlich bald wieder!



Wanderinfos:

  • Gewandert: Samstag/Sonntag, 14./15. August 2021
  • Route: Bivio - Mot - Tgesa Brüscheda - La Veduta - Val d'Agnel - Fuorcla d'Agnel - Jenatschhütte (Samstag); Jenatschhütte - Tegia d'Val - Uember da Palüd Marscha - Spinas (Sonntag)
  • Unsere Wanderzeit: 5 h 45 min (Samstag); 3 h 10 min (Sonntag)
  • Distanz: 15,9 km (Samstag); 12,5 km (Sonntag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'400 m (Samstag); 100 m (Sonntag)
  • Übernachten: Chamanna Jenatsch CAS
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Donnerstag, 19. August 2021

Val Piora: Unter Murmeltieren

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Der Ritomsee war schon lange auf meiner Wander-to-do-Liste und ein spontaner Abstecher ins Tessin, bei welchem sich das einzig verfügbare Hotelzimmer in (Ambri-)Piotta fand, bot unverhofft die Gelegenheit, diese Pendenz abzuhaken. 

Den Aufstieg kürzte ich grösstenteils mit Standseilbahn ab und die Fahrt den Berg hoch war beeindruckend: Die Ritombahn ist eine der steilsten der Welt und von Abschnitt zu Abschnitt schien das Gefälle zuzunehmen. Teilweise hatte ich das Gefühl, dass es fast senkrecht hoch ging. Ich hatte zunächst mit dem Gedanken gespielt, zu Fuss zum Ritomsee hochzusteigen, doch während der Fahrt war ich froh, dass ich von diesem Gedanken wieder abgekommen war.

Von der Bergstation der Bahn war es nur ein kurzer Spaziergang entlang einer Fahrstrasse bis zur Staumauer des Ritomsees. Ich entschied mich, entlang des unbewaldeten Ufers zu wandern und so hatte ich eine schrankenlose Sicht auf den blauen See. 

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Nachdem ich den See hinter mir gelassen hatte, öffnete sich die Landschaft und ich erreichte das Val Piora. Tief unten hatte sich ein Wildbach ins helle Gestein gegraben. Piora resp. die "Piora-Mulde" war mir bisher vor allem als berüchtigte geologische Störzone beim Bau des Gotthard-Basistunnels ein Begriff. Von aussen gesehen war die Piora-Mulde eine liebliche, ausgedehnte Weidelandschaft.

Eine Bewegung im Augenwinkel erregte meine Aufmerksamkeit und schon war das Murmeltier in seinem Bau verschwunden. Doch plötzlich schienen die putzigen Tierchen überall aufzutauchen. Während die älteren Tiere friedlich grasten, zeigten sich die Jungen verspielt und jagten sich gegenseitig über die Wiese. So viele Murmeltiere, so nahe und so lange hatte ich noch nie beobachten können. Ich kam mit dem Fotografieren fast nicht mehr nach. Selbst als ich Pause machte und mich hinsetzte, liessen sie sich nicht von mir stören. Ich konnte mich fast nicht mehr losreissen von so viel Niedlichkeit!

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Schliesslich bog der Weg Richtung Val da Tiarms ab. Ein kurzer Aufstieg brachte mich auf den Passo dell'Uomo (2'218 m), wo ein hässlicher, verlassener Betonstall den höchsten Punkt meiner Wanderung markierte. Von da an war der Wanderweg mit lockerem Geröll bedeckt, was das Gehen mühsam machte, so dass der Abstieg wenig Freude bereitete. Richtig Mitleid hatte ich mit den zahlreichen Mountainbikern, die vom Lukmanier herkommend ihr Velo den Schotter hinaufschoben. 

Einziger Pluspunkt beim Abstieg war die Sicht auf den Lai da Sontga Maria, der immer näher kam. Vor einem Monat hatte ich bereits eine Wanderung zur Capanna Bovarina auf dem Lukmanier begonnen resp. beendet. Im Gegensatz zu damals war der Stausee diesmal gut gefüllt. 

Auf der Passhöhe deckte ich mich noch mit regionalen Spezialitäten ein, bevor es mit dem Postauto bereits wieder ins Unterland ging.


Wanderinfos:

  • Gewandert: Freitag, 6. August 2021
  • Route: Piora, Bergstation - Lago Ritom - Alpe Ritom - Scopello - Alpe Piora - Val Piora - Passo dell'Uomo - Lai da Sontga Maria - Lukmanierpass
  • Meine Wanderzeit: 3 h 30 min
  • Distanz: 14 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 550 m

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Donnerstag, 12. August 2021

Firn, Fels, Grat - Hochtour auf das Vrenelisgärtli

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Die Hochtour auf das Vrenelisgärtli stand schon lange auf meiner Wunschliste. Bereits zweimal hatte ich die Tour auf den bekannten Gipfel im Glärnisch fest gebucht, beide Male kam etwas dazwischen: Beim ersten Mal spielte das Wetter nicht mit, beim zweiten Mal mein Blinddarm. Doch alle guten Dinge sind bekanntlich drei und so machte ich mich an diesem verregneten Sonntag auf den Weg ins Glarnerland. 

Die Wolken hingen tief ins Klöntal hinein, als wir zunächst mit Bus und Alpentaxi bequem bis nach Käsern fuhren. Im Nieselregen begannen wir unseren Aufstieg zur Hütte. Durch den Nebel konnte man den Firnbachfall erkennen, doch bald verschwand auch er unter uns in den Wolken und wir hörten nur noch sein Rauschen. Rund um uns herum war es grau und nass und der Weg hatte sich mehr oder weniger mit den zahlreichen Bächen vereint, die den Hang hinunter strömten. 

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In der Glärnischhütte hatte der Hüttenwart den Holzofen eingefeuert, um all seine durchnässten Gäste wieder trocken zu bekommen. Und uns blieb in der kurzen Nacht nur die Hoffnung, dass die Wetterprognose recht behalten und die versprochene Wetterbesserung tatsächlich eintreffen würde.

Am nächsten Morgen war es noch dunkel, als wir uns gegen halb sechs Uhr in Richtung Vrenelisgärtli auf machten. Die Wassertropfen an den Grashalmen glitzerten im Schein der Stirnlampen, doch von oben blieb es trocken. Nur einzelne Nebelschwaden zogen noch an den senkrechten Felswänden entlang. Beim unteren Firenband gab es die ersten ausgesetzten Stellen zu überwinden, bevor wir schliesslich den Fuss des Glärnischfirns erreichten. Hier montierten wir die Steigeisen und Hans-Peter, unser Bergführer, verband uns zu einer Seilschaft.

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Leicht ansteigend ging es längs über den schneebedeckten Gletscher. Sehr gross ist der Glärnischfirn nicht mehr; ich fand es aber bereits erstaunlich, dass es auf nur rund zweieinhalbtausend Meter überhaupt noch Gletscher gibt. Am anderen Ende des Firns angekommen, deponierten wir unsere Steigeisen. Vor uns lag die Schlüsselstelle der Tour, der Abstieg über eine senkrechte Steilstufe zum Schwander Grat. 

Fix montierte Ketten und einige Stahlstifte helfen beim Abstieg. Ganz wohl war es mir bei der Sache aber trotzdem nicht - das Kletter-Gen fehlt mir immer noch. Viel passieren hätte aber wohl nicht können, da wir immer von unserem Bergführer gesichert wurden; trotzdem war ich froh, als ich unten ankam.

Über den schmalen Schwander Grat - objektiv gesehen wohl gefährlicher als die Kletterpassage, aber für mich eindeutig einfacher zu meistern - ging es weiter. Senkrechte zweitausend Meter unter uns lag der Klöntalersee. Das letzte Stück kraxelten wir über lockeres Geröll hoch und dann standen wir auf dem Vrenelisgärtli (2'905 m). Was für eine Aussicht! Wir nahmen uns viel Zeit, das Gipfelerlebnis in vollen Zügen zu geniessen. 

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Auf dem Gipfelkreuz des Vrenelisgärtlis hängt ein Kessel. Wohl eine Anspielung auf die namensgebende Sage, wonach es sich das junge Mädchen Vreneli in den Kopf gesetzt hatte, auf dem Glärnisch einen Blumengarten anzulegen. Mit einem grossen Kessel auf dem Kopf wollte sie sich gegen den Schneefall schützen, wurde aber zusammen mit Kessel und Blumen vollständig eingeschneit. Ich habe die Moral der Geschichte nie verstanden und fand das Ansinnen, auf fast dreitausend Metern einen Garten anlegen zu wollen, ziemlich unsinnig. Doch zugegebenermassen entdeckten wir inmitten der Steinwüste bunte Blümchen, die dem harschen Klima trotzten - vielleicht doch die Reste von Vrenelis Blumengärtchen.

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Wir mussten uns schliesslich wieder auf den Rückweg machen. Nachdem wir den Schwander Grat wieder überquert hatten, kam erneut die Kletterstelle (Auf- und Abstieg sind übrigens  richtungsgetrennt und fein säuberlich markiert). Hinaufklettern finde ich generell einfacher als hinunter, und mit etwas weniger Mühe brachte ich die Schlüsselstelle erneut hinter mich.

Danach stiegen wir wieder in unsere Steigeisen und hinab ging es über den Glärnischfirn. Unten angekommen, zogen allmählich immer dichtere Wolken vom Klöntal her hinauf. Uns war es egal, das Wetter hatte an diesem Tag perfekt gepasst. Vor uns stand aber noch ein sehr langer Abstieg, gut achtzehnhundert negative Höhenmeter gilt es zwischen dem Vrenelisgärtli und Käsern zu vernichten. 

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Bei der Glärnischhütte gab es einen kurzen Zwischenstopp für Kaffee und Kuchen. Im Gegensatz zum Vortag sah man dann Weiterwandern etwas von der Umgebung: Unzählige Bäche fielen über die senkrechten, grün bewachsenen Felswände und fast wähnte man sich in irgendwo in einem asiatischen Dschungel. 

Die lange Tour machte sich langsam aber sicher in meinen Beinen bemerkbar und ich war froh, dass in Käsern das Alpentaxi auf uns wartete. Doch auch wenn ich wusste, dass der Muskelkater in den nächsten Tagen garantiert war - für dieses tolle Erlebnis hatte er sich allemal gelohnt!





Wanderinfos:
  • Gewandert: Sonntag/Montag, 8./9. August 2021
  • Route: Käsern - Glärnischhütte (Sonntag); Glärnischhütte - Glärnischfirn - Schwander Grat- Vrenelisgärtli - Schwander Grat - Glärnischfirn - Glärnischhütte - Käsern (Montag)
  • Unsere Wanderzeit: 1 h 45 min (Sonntag); 8 h (Montag)
  • Distanz: 3,8 km (Sonntag); 13 km (Montag)
  • Höhenmeter (Aufstieg): 720 m (Sonntag); 1'100 m (Montag)
  • Übernachten: Glärnischhütte SAC