Donnerstag, 19. Dezember 2019

Vom Monte Boglia zu den Denti della Vecchia - Alleine und verloren im Schneehang (Tessiner-Dezember Wochenende 2/2)

@wandernohneende
Grat bei den
Denti della Vecchia
Der zweite Teil meines Tessiner Wochenendes begann mit einer Fahrt über die schmale, kurvenreiche Strasse nach Brè sopra Lugano. Ich war der einzige Fahrgast, der so früh am Morgen zum kleinen Dörfchen am Monte Brè unterwegs war und hatte Bus und Chauffeur für mich alleine. Ich war zeitig unterwegs, weil ich eine lange Wanderung geplant hatte. Meine SchweizMobil-App hatte die Wanderzeit mit knapp sechseinhalb Stunden berechnet, ich war aber guten Mutes, dass ich sie in unter fünf Stunden schaffen würde - dies war meine erste Fehleinschätzung des Tages.

Wie bereits am Vortag folgte ich dem Sentiero Lago di Lugano und beim Aufstieg kam ich immer wieder an Aussichtspunkten vorbei, die einen schönen Blick auf den See erlaubten, welcher als Namensgeber der Route gedient hatte. Über einen zerklüfteten, sonnenbeschienenen Grat gewann ich schnell an Höhe und in einer der zahlreichen Kehren des Zickzackwegs kam erstmals das grosse Kreuz des Monte Boglia in Sicht. Über einen baumlosen Kamm erreichte ich nach nicht einmal zwei Stunden den Gipfel des Monte Boglia (1'516 m). Damit lag ich (noch) gut in meinem Zeitplan.

Die Nordseite des Monte Boglia war mit mehr Schnee bedeckt, als ich erwartet hatte. Der Abstieg war aber zunächst gut gespurt. Doch als ich Wald erreichte, fingen die ersten Schwierigkeiten an: Die dicke Laubschicht war mit einer dünnen Eiskruste bedeckt, was sich als heimtückische Rutschfalle herausstellte. Ich war daher erleichtert, als ich die Plan di Scagn erreichte, von wo aus es zu den Denti della Vecchia wieder hochging. Ich erwartete, dass ich damit den Schnee hinter mir gelassen hatte und ich nur noch auf sonnenbeschienenen Pfaden unterwegs sein würde. So falsch bin ich noch selten gelegen!

@wandernohneende
Blick vom Monte Boglia
Nur Minuten später kam ich auf unerklärliche Weise vom Wanderweg ab und endete in einem abschüssigen, schneebedeckten Hang, wobei ich eine blamable lange Zeit brauchte, bis ich überhaupt feststellte, dass ich falsch war. Um aus der misslichen Lage wieder herauszukommen, musste ich den Steilhang - ebenfalls mit überfrorenem Laub überzogen - auf allen Vieren hochklettern. Das war auch der Moment, als mir in den Sinn kam, dass niemand wusste, wo ich war.

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Denti della Vecchia
Ich schaffte es zurück auf den Wanderweg, der auf der Rückseite der auffälligen Felsformationen der Denti della Vecchia immer der schweizerisch-italienischen Grenze entlang verlief. Neben schweizerischen Wegweisern gab es an jeder Abzweigung auch italienische. Der Pfad war schmal und teilweise ausgesetzt. Bei trockenem Wetter wäre dies eine abwechslungsreiche, aber nicht besonders anspruchsvolle Wanderung gewesen. Die Schneereste auf dem Grat und den nackten Felsen machten die Sache indes zu einer wackeligen Rutschpartie. Nicht wirklich beruhigend war zudem der Umstand, dass ich den ganzen Tag nur einem anderer Wanderer begegnet war: Er hatte mich am Morgen überholt und kam mir am Nachmittag wieder entgegen - offenbar hatte er es für ratsamer gehalten umzudrehen.

Nachdem ich die Denti della Vecchia hinter mir hatte und der Weg zunächst wieder breiter wurde, dachte ich erneut, dass ich das Schlimmste hinter mir hatte - bis ich mich schon wieder verlief! Diesmal zeugten wenigstens Spuren im Schnee davon, dass ich nicht die Einzige gewesen war, die an der Kreuzung die Orientierung verloren hatte. Ich folgte prompt den falschen Spuren und endete wiederum in einem schneebedeckten Steilhang, aus dem ich mühsam herauskraxeln musste.

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Blick über den Grat zurück
kurz vor dem Monte Boglia
Während dem Rest der Wanderung kontrollierte ich zur Sicherheit alle fünf Minuten meine Position mit dem GPS. Dies verhinderte aber nicht meinen nächsten unfreiwilligen Abstecher in einen Steilhang: Diesmal nicht, weil ich falsch abgebogen wäre, sondern weil ein grosser Baum mit einer ausladenden Krone über den Weg gefallen war, dem ich ausweichen wusste. Durch die Bäume konnte ich dann endlich die Capanna Pairolo erspähen. Doch bis dahin musste ich mich noch eine ganze Weile durch knöchelhohen Schnee kämpfen.

Auf der Terrasse der geschlossenen Capanna machte schliesslich ich eine Pause. Der Weg von dort weiter war zwar auch schneebedeckt, doch breit und nicht zu übersehen. Da konnte eigentlich nichts mehr schief gehen, dachte ich - bis ich zu einem Wegweiser gelangte, der quer über eine schneebedeckte Wiese zeigte, auf der nicht einmal mehr Fussspuren zu sehen waren. Da ich aber keine Lust auf noch einen Umweg hatte, stapfte ich entschlossen durch den Schnee. Kurz darauf tauchte ich wieder in den Wald ein. Zwar musste ich da wieder auf eisbedeckte Blätter acht geben, dafür gab es an gefühlt jedem zweiten Baum eine weiss/rote Markierung. So lief ich wenigstens nicht Gefahr, mich nochmals zu verirren.

Bei Murio hatte ich genug an Höhe verloren, dass ich Schnee und Eis hinter mir lassen konnte und es endlich wieder die sonnige Wanderung durch raschelndes Herbstlaub wurde, die ich mir eigentlich ausgemalt hatte. Zudem traf ich auch wieder auf andere Menschen, was beruhigend war. Die letzte Herausforderung war dann, im kleinen Dörfchen Villa Luganese die Bushaltestelle zu finden, wofür ich geschlagene zehn Minuten brauchte. Auf mein Orientierungsvermögen war an diesem Tag wirklich kein Verlass! Wenigstens fand ich in Lugano problemlos den richtigen Zug zurück in den Norden.




Wanderinfos:
  • Gewandert: Sonntag, 8. Dezember 2019
  • Route: Brè sopra Lugano, Paese - Crus - Sasso Rosso - Monte Boglia - Plan di Scagn - Bocchetta di Brumea - Denti della Vecchia - Capanna Pairolo - Murio - Creda - Villa Luganese (bis Capanna Pairolo Etappe 6 des Sentiero Lago di Lugano)
  • Meine Wanderzeit: 5 h 50 min
  • Distanz: 17 km
  • Höhenmeter (Aufstieg): 1'100 m
  • Weitere Etappen des Sentiero Lago di Lugano gibt es hier
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